Eine Schule für den Frieden
In Götschendorf wurde in den 50ziger Jahren friedenspolitische Geschichte der DDR geschrieben. Der Ort war in dieser Zeit Sitz der Zentralschule des Deutschen Friedensrates (DFR) in der DDR. Sie war seine zentrale Bildungseinrichtung, als „Stätte der Begegnung“, wo Freunde, Mitarbeiter und Sympathisanten der Friedensbewegung aus Ost und West zu Gesprächen, Seminaren, Kolloquien und zu Schulungen, eingeladen wurden. Am 8. April 1953 wurde die „Stätte der Begegnung“ in feierlicher Form im ehemaligen Feudalschloss, das der letzte regierende Fürst Lippes 1910/11 erbauen ließ, eröffnet. Der Generalsekretär des Deutschen Friedensrates, Prof. Dr. Heinz Willmann, nahm die Einweihung und Eröffnung der Einrichtung vor. Zahlreiche Ehrengäste betonten ihre und ihrer Organisationen Verbindung zur Friedensbewegung der DDR. Von da an wehte die Fahne mit der Friedenstaube – gestaltet von Picasso das bis heutige gültige Zeichen der Friedensbewegung – über dem „fürstlich-lippischen Jagdschloss“. Der Start stand unter der Losung „Deutschland muss ein Hort des Friedens werden“. Damit sollte dem Grundanliegen der Bevölkerungsmehrheit beider entstandenen deutscher Staaten, einen dauerhaften Frieden in Europa und in der Welt zu sichern und ein demokratisches, einheitliches Deutschland zu schaffen, entsprochen werden. Am 19. Februar 1952 hatte dazu das Deutsche Friedenskomitee in Berlin den entscheidende Beschluss gefasst, der die weitere Friedensarbeit im Land maßgeblich tangieren sollte. Eine Schule, ein dafür geeignetes Objekt, musste her. Eine „Findungskommission“ wurde eingesetzt. Von ihr wurden Objekte in Augenschein genommen, alle waren aber zu klein und die notwendigen Kosten für eine Instandsetzung erheblich zu hoch. Letztlich fanden die Emissäre das aus ihrer Sicht geeignete Objekt: Das sich in Volkseigentum befindliche Schloss in Götschendorf, am Nordrand der Schorfheide, welches 1 ¼ Stunde Fahrstunden von Berlin entfernt, mit einer Kapazität von ca. 50 – 60 Plätzen und außerdem einen entsprechend großen Lektion-Saal besitze und die nächste Bahnstation war nur 3 Kilometer entfernt. Es hatte mehrfach den Eigentümer gewechselt und wurde schließlich zu den Göringschen Liegenschaften um Carinhall geschlagen. Bis zur Eröffnung der Schule mussten so manche Hindernisse, im wahrsten Sinne des Wortes, beiseite geräumt werden. Vor der Inbetriebnahme bedurfte es intensiver Komplettierungs-, Einrichtungs- und Aufräumungsarbeiten. Berlin plante eine Investsumme von 70.000 Mark der DDR, die aber nicht ausreichten. Wie immer waren es die begrenzt vorhanden Mittel die den Fortgang der Arbeiten erschwerten. Für die Innenrenovierung und die Möblierung waren im Haushalt 1953 14.000 DM vorgesehen. Die Renovierung der Fassade und andere Arbeiten am Objekt musste auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden: Die Zentrale in Berlin rief zur absoluten Sparsamkeit auf. Die Baukontrolle des Objektes unterlag der Abteilung Organisation beim Sekretariat des DFR, der wöchentlich Bericht zu erstatten war. Das erste Problem was den Fortgang bzw. den Beginn der Renovierungsarbeiten massiv behinderte war die Tatsache, dass die „Umsiedelung der im Schloss wohnenden 20 zum Teil kinderreichen „Umsiedler- und Flüchtlingsfamilien“ nicht so schnell erfolgen konnte wie geplant. Im Oktober 1952 vermeldet dann das Protokoll, dass die Familie Sperling als letzte in die für sie bestimmte Wohnung im Kieswerk umziehen werde. Laufende Kosten für die Instandhaltung des Schlosses ab 1953 betrugen rund 20.000 Mark der DDR jährlich. Schulleiter war von 1. März 1953 bis Herbst 1958 Fritz Rathig, ab 1957 gewähltes Mitglied im Gemeinderat, der mit seiner Familie, bevor das Lehrerwohnhaus (Typ LW 53/5) fertiggestellt war, ebenso wie die anderen Angehörigen des Lehrkörpers in der Schule wohnten. Große Aufmerksamkeit galt immer wieder den Versorgungsfragen. Selbstversorgung und Eigeninitiative waren angesagt. Erst mit Beginn des 21. Lehrganges wurde festgelegt, dass nach einer Sondernorm verpflegt werde, da laut Anordnung des Ministeriums für Handel und Versorgung vom März 1955 für alle Teilnehmer an Schulen der Parteien und Massenorganisationen eine Anmeldung in der Gemeinschaftsverpflegung erfolgen muss. Dies führte dazu, das ab da Lehrgangsteilnehmer immer eine Abmeldung von ihrem Heimatort bzw. Betrieb mitbringen mussten. Pro Teilnehmer und Tag gab es 150 g Fleisch, 60 g Butter, 10 g Margarine, 10 g Speck, 30 g Käse, ½ Ei und 1/8 Milch. 27 Männer und Frauen gehörten zum festen Personalstamm der Schule. Der erste Lehrgang fand vom 4.5. – 22.5.1953 statt. Insgesamt wurden in den 5 Jahren 58 Lehrgänge mit über 4500 Teilnehmern durchgeführt. Die Erziehung zum Frieden war von Anbeginn des jungen Staates eines seiner obersten Prinzipien und in der Verfassung festgeschriebenes Axiom der Innen- und Außenpolitik. So war es nur folgerichtig, dass eine Organisation wie der Friedensrat in der DDR Bestandteil des Staates war. Der renommierte Schriftsteller F.C. Weiskopf schrieb im April 1953 dazu in das Gästebuch der Schule: „ ich wünsche der Zentralschule des Friedensrates eine so erfolgreiche Tätigkeit, dass sie überflüssig wird, weil niemand mehr den Frieden zu bedrohen wagt.“ Hauptaugenmerkt wurde der Planung und Ausarbeitung der Lehrgangsinhalte und der Schaffung von Unterrichtsmaterial gelegt. Das umso mehr, weil alle soziale Schichten und Berufe unter den Teilnehmern vertreten waren, wie sie sich denn auch in der Friedensbewegung präsentierten. Sie kamen aus dem gesamten Territorium der DDR und aus Westdeutschland. Vorgeschlagen von den dort wirkenden Friedenskomitees zur Teilnahme an einem Lehrgang in der Einrichtung bzw. hatten sich selbst darum beworben. Vielfach handelte es sich um Personen, die keiner Partei oder gesellschaftlichen Organisationen angehörten oder aus irgendwelchen Gründen kaum Aussicht hatten, sich allein neben ihrer beruflichen Tätigkeit das Wissen anzueignen, was als Voraussetzung einer qualifizierteren Tätigkeit in den Friedenskomitees erforderlich war. Entsprechend waren die Lehr- und Arbeitspläne und -programme für die allgemeinen Lehrgänge gestaltet. Die Hauptaufgabe der Tätigkeit und der vielen nationalen und internationalen Gastlektoren, -referenten und Besucher bestand in der Vermittlung ihrer Erfahrungen und Meinungen zum Friedenskampf. Ziel der Schulungen war es gemeinsame Antworten zu finden auf die Frage: „Wie entstehen Kriege? Wie werden Kriege gemacht?“ Und wenn das nicht möglich war, zumindest Pfade aufspüren, die zu einem sicheren Frieden führten und gar gemeinsam beschritten werden könnten. Von den persönlichen Erfahrungen und Kenntnissen ausgehend, galt es die Vertreter der Friedensräte mit mehr theoretischem Wissen und praktischem Können auszustatten. Entsprechend waren die Programme für die allgemeinen Lehrgänge gestaltet. Aktuelle Ereignisse erfuhren ständige Aufmerksamkeit und Behandlung. Die Länge der Kurse richtete sich nach ihrem sachlichen Inhalt, nach dem Laufe des Kalenders. Etwa drei bis vier Wochen waren die Regelzeitdauer. Dies bedeutete eine erhebliche Vergrößerung des Arbeitsvolumens der Lehrenden, die die für ihre Tätigkeit erforderlichen Voraussetzungen im intensiven Selbststudium und in eigenen Seminaren sich aneignen mussten, was sie danach im Unterricht zu vermitteln hatten. Es war selbstverständlich, dass man sich trotzt aller Arbeit in der Schule auch Zeit und Kraft für die Belange des Dorfes aufbrachte. Es gab gemeinsame Arbeitseinsätze. Auf Initiative der Schule wurde ein Kindergarten für das Dorf eingerichtet und gemeinsam beging man die gesellschaftlichen Feiertage. Auch die Ankunft des ersten Mähdreschers der MTS wurde gebührend gefeiert. Die Einweihung eines Findlings – unter dem deutsche und sowjetische Soldaten ruhen – auf dem Dorffriedhof führte die Einwohner, Lehrgangsteilnehmer und Vertreter der Schule zu einer gemeinsamen Veranstaltung, am 8.Mai.1955 zusammen und sollten eine Mahnung für die Zukunft sein. Im Herbst 1958 wurde die „Stätte der Begegnung“, wie sie seit 1957 firmierte in Götschendorf geschlossen und für kurze Zeit noch nach Grünheide bei Berlin verlegt. Aus dem Schloss wurde ein Ferien- und Erholungsheim, es überstand die Wirren der Wende. Heute ist das unter Denkmalschutz stehende – stark sanierungsbedürftige – Gebäude im Besitz der russisch-orthodoxen Kirche, die das ganze Areal für einen Euro erwarb und als Kloster mit dem Namen St. Georg, als Deutsch-Russisches Zentrum für geistliche und kulturelle Zusammenarbeit, betreibt.